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buchbesprechung – ich höre dem regen zu

Wolfgang Schiffer, Ich höre dem Regen zu, Elif Verlag

Wann bekommt man noch ‚echte‘ Post? Und dann gleich so eine Sendung! Gespannt öffne ich den Umschlag, weiß den neuen Band von Wolfgang Schiffer in ihm, Vorfreude, Dankbarkeit, und dann die Erkenntnis, dass mir die besondere Ehre zuteil wird, ihn vor Veröffentlichung lesen zu dürfen, in Händen zu halten. So gesellt sich auch noch Ehrfurcht hinzu.

Aus dem Umschlag schauen mich Augen aus Sonnen an, erinnern an den mystischen Symbolismus alter Tarot-Karten, etwas überraschend bei dem Titel. Es ist Herbst geworden in der Nacht vom achten auf den neunten dieses Monats, wie durch einen Schalter. Dem Regen zuhören – never gets old.

„Wohin mit dem Schmerz, den eine Welt bereitet, die sich in Auflösung zu befinden scheint?“

Die großen Fragen also, sie sind inzwischen wohl alltäglich geworden wie der Regen im Herbst, der Herbst, der dem Winter vorangeht, zuerst golden, dann kalt, Erntedank und Todesboten. Die Fragen, sie klopfen an unsere gemütlich erleuchteten Fenster, sollen draußen bleiben und Nebengeräusch sein – doch lassen sich nicht abschütteln, noch weniger beantworten. Die Erde hat noch immer keinen Buckel geworden, lieber Wolfgang – und du hast nicht aufgehört, einen

Versuch 

mitfühlender Vorstellung gemutmaßt Leids“ 

zu wagen.

„Warum schreiben, wenn dies Schreiben nicht Scham ist“

Dörfer aufzählen, deren Menschen geschlagen sind, vom Schicksal und in die Flucht und in die Fremde und in die Verzweiflung.

„Sie, die kommen, 

kennen ihre Namen,

doch sie sagen sie nicht,

sie weinen sie“

Kein Punkt, kein Ende. 

„Es schreit

unaufhörlich aus ihren stummen Mündern.“

Punkt. Totenstille.

„und dass mir kalt ist, kalt, dass es schmerzt wie Glut“

Empathie ist nicht immer kuschelig warm, manchmal ist sie wutentbrannt. 

„Ich will schreien, schreien wie die Verwundeten,

(…)

Nur schreien, keine Wörter mehr bilden“

Um dann zu erkennen: „Es sind die kleinen Dinge“, die Antwort geben können, Resonanz bilden, Trost spenden. 

„Warfen mich Antworten in Zweifel zuvor, häufig

in Trübsal sogar, so wiegt mich ihre Blättersprache

in Ruhe, außen und innen in Nähe zur Welt.“

„was soll’s, die Welt

da draußen, sie ist ja noch da …“

Politischen Texten folgt Nature Writing – und auch das ist politisch, in den Zeilen spricht sie zu uns, die geschundene Welt.

„Warum nur, ganz gleich wie still ich bin,

verstehe ich ihre Sprache nicht? Wer oder was

hat uns voneinander getrennt? Still sitze ich da und

fürchte, wir waren, wir sind es selbst …“

Danach Träume und Erinnerungen. Melancholische Gewebe. 

„Es war, als hätte das Dunkel der Nacht

Ein Fieber in den Tag geworfen,

(…)

Doch hatte der Träumende, teils ungebunden,

Nur geträumt, was allein ein Reihen von Worten vermag:

Kurzum: Er hatte sich in ein Gedicht verliebt!“

In “Dilemma I” hatte der Autor noch gefragt:

„Wäre es nicht ehrlicher, zu schweigen?“

Nein. Nein, weil es das Ende ebendieser möglichen Liebe wäre – denke ich, um dann erinnert zu werden an jenen „P.B.“, den Onkel eines sehr lieben Freundes, dem ich zu verdanken habe, dass ich unter einem Pflaumenbaum deine Bekanntschaft machen durfte, meine Gedichte mit denen meines Freundes und den deinen im Dreiklang in den Garten pflanzte, begleitet von „Holz und Jazz“. Wahr bleibt, was wahr ist. Was wichtig ist, kehrt immer wieder zurück, auch wenn sich Größenverhältnisse ändern und “am Grunde des Flusses die Steine wandern”. Hoffnung und Brecht.

„Schmerz ist eben Schmerz ist Schmerz ist Schmerz …“

Das stimmt, lieber Wolfgang. Und mit dir

„frage ich mich, was anderes

wir haben als Worte, um den Menschen

mit sich und der Welt zu versöhnen.“

Und bleibe die Antwort schuldig, so wie ich dir Dank schulde für die mir vorab anvertrauten Gedichte, die ich jenen in die Herzen schreiben möchte, die Trost suchen in diesen dunkler werdenden Tagen. 

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buchbesprechung – dass die erde einen buckel werfe

Wolfgang Schiffer, Dass die Erde einen Buckel werfe, Elif Verlag

Wolfgang Schiffer begegnete ich, als mir die Ehre zuteil wurde, gemeinsam mit ihm und meinem lieben Freund Paul neben „Real Live Jazz“ „Lyrik unterm Pflaumenbaum“ im Schrebergarten lesen zu dürfen. Ganz angetan war ich von seinem Vortrag – so unprätentiös tiefgängig und wunderbar klangvoll – sodass ich aus Kölner Sommern rasch versetzt wurde in nordische Gefilde, in denen es stets unter der Oberfläche brodelt und raue Winde den Menschen berichten von naturnahen Göttern und lange Nächte einladen zu Geschichten und Musik. Sicher romantisiere ich hier – aber wozu sollen Gedichte denn dienen, wenn nicht zum Entstehen von Bildern?

Besagter Wolfgang Schiffer bringt nun endlich (!) einen Gedichtband heraus. In der Annahme, diesen erst Ende Februar zu erhalten, winkte mir die Aufforderung „dass die Erde einen Buckel werfe“ bereits heute aus dem Briefkasten zu.

Was für ein Titel – verkündet er gleichsam Wunsch und Verzweiflung, dass die Welt doch reagieren möge, dass Veränderungen sichtbar blieben und somit Validierung sein mögen für innere Disruptionen. Ich ertappe mich schon beim Cover dabei, psychoanalytisch durch das Schlüsselloch zu schauen, woher wohl Wolfgangs Verbundenheit mit dem zerklüfteten Island stammen mag – gibt es eine innere Verbindung zum kollektiven Unbewussten jenseits des Polarkreises?

„Wieso erinnere ich mich?“

frage ich mich mit ihm gleichsam, als ich zufällig aufschlage. 

Zwischen Wochenkarten finde ich, dass Liebe doch durch den Magen geht und manchmal die Bestellung von Zervelatwurst im Schlagschatten verächtlicher CDU-Plakate zärtlich und trotzig von einer Liebe kündet, die stabiler ist, als es selbst in der Provinz die Wahlergebnisse der CDU sein können. Fast wortlos schiebt sich in den Worten über die Mutter tiefe Zärtlichkeit und Bewunderung in Beschreibungen scheinbarerer Alltäglichkeiten –

„warum ich nicht mehr über meine Mutter schreiben wolle“

wird klar – was wäre schon hinzuzufügen? Vor allem in einer anderen Sprache als der, die

„bis weit über das siebte Lebensjahr hinaus auch seine einzige Sprache, seine Muttersprache gewesen ist, bis Lehrer mit Linealen und dünnen Bambusstöckchen über seine Finger und Handrücken Hochdeutsch in seinen Kopf schlugen“

Vielleicht ist daher auch wichtig, dass die Zärtlichkeit zwischen den Zeilen einen sicheren Ort hat, den das Hochdeutsche nicht erreichen kann – eine Liebe, die sinnlich ist und daher ohne große Worte auskommt, sondern sich in den warmen Erinnerungen zeigt, im

„Duft der Kastanien“

oder der sandgefüllten Tonflaschen, die

„uns nachts die Füße wärmten im kaltklammen Bett“

Der mir weise erscheinende Mann, der in den Spiegel blickt muss nicht mehr 

„Wörter wie Stacheln erfinden 

gegen die Wirklichkeit“.

Auch wenn er sagt

„ich bin doch schon müde“

hoffe ich als Leserin, dass der Bitte

„Vielleicht bringen Sie mir doch noch einen Espresso“

nachgegangen wurde.

Ist es lauter von mir, das zu wünschen? Werden doch wir aufgefordert, gegen eine Zerstörung der bereits brennenden Welt anzuschreiben – da ist sie wieder, die Hoffnung des Kommunisten von einst, der sich selbst oft bescheiden-beschämt in den Hintergrund stellt, um dann wiederum die vom Vater gegebene Liebe zur Natur

„die dir mehr als alles andere war“

wiederaufflammen zu lassen. 

„ach / gäbe es doch das Wort / das eine neue Weltordnung schüfe“

erglimmt es.

„welchen Text ich in letzter Zeit auch immer begonnen habe /

er war nicht zu einem Ende zu bringen / 

egal in welcher Sprache / egal in welcher Form“

Bitte, lieber Wolfgang, lass deine Texte nicht enden für uns – egal in welcher Sprache und egal in welcher Form. 

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