Book Review, Poetry, Writing

buchbesprechung – aus glut geschnitzt

Dinçer Güçyeter, Aus Glut geschnitzt, Elif Verlag

Dass ich das Glück habe, an dieses Buch zu kommen, hat einen sehr schrecklichen und einen sehr wundervollen Grund. Der schreckliche ist der grauenvolle Krieg, mit dem Putin die Ukraine auf das Entsetzlichste martert. Der wundervolle ist die zutiefst mitfühlende und zupackende Antwort, die Dinçer Güçyeter darauf gab: Spenden durch den Kauf von Schönheit.

Tröstender kann eine Reaktion kaum sein – man kauft Gedichtbände eines unabhängigen Verlags und der Verleger spendet die kompletten Einnahmen an Hilfsprojekte der Ukraine. So kam ich an den Gedichtband Dinçer Güçyeters, „Aus Glut geschnitzt“. Von der glühenden Beschaffenheit seines Herzens konnte ich durch die gelebte Poesie der Nächstenliebe bereits vor der Lektüre eine Idee bekommen.

Und ich komme gleich ins Nachdenken: Glühendes zu schnitzen, dazu bedarf es des Mutes, sich die Hände zu verbrennen, die Distanz des hämmernden Schmieds ist dem Schnitzenden nicht gegeben. Das Material muss erfasst und beherzt wirkend neu geformt werden, Span für Span. 

Schon im ersten Gedicht „ach, Kinder …“ zeigt der Dichter vollen Körpereinsatz im Dienste der Liebe. Ich verstehe gleich, dass diese Lyrik geerdet ist und ganz ohne die ach so beliebte ironische Distanz zu anderen auskommt. Er lädt uns gleich ein in einen zärtlichen Moment kunstverrückter Vaterliebe mit einer gehörigen Portion einer der besten Eigenschaften, die wir gerade in diesen Zeiten so vielen Machthabenden wünschten: sich selbst nicht allzu groß zu machen. 

Das „stachelige Gebet“ in „die Zweige und das Vöglein“ lassen dieselbe Prise Straßenkatze erahnen, die im Lyrikband „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“ (dessen Besprechung noch auf meiner To-Do-Liste steht) schon dem fantasievollen Titel entspross. Vielleicht sind es diese beiden Worte, die den Stil seiner Lyrik besonders treffend beschreiben. Demütig, aber nicht devot, anschmiegsam, aber auch widerspenstig, verspielt, aber auch ernst, einfühlend, aber auch in sich gekehrt.

So müht es sich, das Vöglein in den ersten Gedichten, gegen die Bedrohung anzufliegen, weil „die Götter bepissen das Gebet“. „Ein Kind (…) singt vor Angst die Strophe eines Rauschens“. Trost finden im Worte-finden, „das Warten schleift die Seele spitz“ bis die Welt beginnt zu antworten – „der Sturm singt die gleiche Strophe wie das Kind“.

Wie im Thriller möchte man schreien: „lauft Kinder, lauft weg …“ während der Dichter „das fehlende Teil eines Elefanten“, der sich allzu gut zu erinnern scheint, sezierend „im Schmatzen der Neonlichter“ in Augenschein nimmt, die Flügel „unter fernen Füßen“ ermatten lässt und zur Ameise wird, um dann, nach dem Vorspann der Geschichte, geboren zu werden im „Gefecht der Wellen“. 

Die Gedichte, sie wirken wie Traumsequenzen, fast hypnotisch suggerieren drei Punkte den Übergang der noch deutlich flügelreichen Fantasie des Dichters zur Unsrigen. Und so werden wir vom Zuschauer über den Bystander zum Aufgeforderten:

„Traust du dich jetzt

Einen Blick zu werfen

Auf die Anmut der Seerosen …“

Ich denke an Heine, während mir Dinçer erklärt, warum: „seltsam, hier riecht es immer noch nach Sehnsucht“.

Doch gleichsam sind seine Bilder erdreicher, denn „mit brennenden Zehen bürstet er sein Verlorensein“. Eine ganze Biografie (der Mutter) passt in einen Koffer, der im Stakkato die Taktung eines mühevollen Lebens herunterbetet wie alte Frauen in der Eifel den Rosenkranz. Ich komme nicht umhin, mich zu freuen, dass all dies nicht gelöscht werden konnte, dass auf dem Grund das Fließen bleibt, mantrenartig aufgefordert wird: „nimm deine Glut und fließe … fließe ins verblendete Kühle …“

Ich denke an Bastian aus der unendlichen Geschichte, der dem Nichts neue Namen entgegensetzte. 

Um dann – wütend – in der Realität zu landen, denn „die Nächstenliebe trägt Nuttenschminke im Gesicht“. Opfer sehen zu, wie neue Täter „zu Wölfen wachsen“ und „der Rabe stiehlt der Nachtigall die Stimme …“.

Geschätzter Dinçer,

„mehr darf ich dir …

mehr will ich dir nicht sagen!“

nach deinem „Konzert für Kinder und Nächte“,

wenn du fragst:

„ach, wo sind die starken Männer geblieben …“

Genau hier, will ich sagen, denn 

„der Feuervogel der glitzernden Nächte

hat diesen Graben erhellt“.

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buchbesprechung – dass die erde einen buckel werfe

Wolfgang Schiffer, Dass die Erde einen Buckel werfe, Elif Verlag

Wolfgang Schiffer begegnete ich, als mir die Ehre zuteil wurde, gemeinsam mit ihm und meinem lieben Freund Paul neben „Real Live Jazz“ „Lyrik unterm Pflaumenbaum“ im Schrebergarten lesen zu dürfen. Ganz angetan war ich von seinem Vortrag – so unprätentiös tiefgängig und wunderbar klangvoll – sodass ich aus Kölner Sommern rasch versetzt wurde in nordische Gefilde, in denen es stets unter der Oberfläche brodelt und raue Winde den Menschen berichten von naturnahen Göttern und lange Nächte einladen zu Geschichten und Musik. Sicher romantisiere ich hier – aber wozu sollen Gedichte denn dienen, wenn nicht zum Entstehen von Bildern?

Besagter Wolfgang Schiffer bringt nun endlich (!) einen Gedichtband heraus. In der Annahme, diesen erst Ende Februar zu erhalten, winkte mir die Aufforderung „dass die Erde einen Buckel werfe“ bereits heute aus dem Briefkasten zu.

Was für ein Titel – verkündet er gleichsam Wunsch und Verzweiflung, dass die Welt doch reagieren möge, dass Veränderungen sichtbar blieben und somit Validierung sein mögen für innere Disruptionen. Ich ertappe mich schon beim Cover dabei, psychoanalytisch durch das Schlüsselloch zu schauen, woher wohl Wolfgangs Verbundenheit mit dem zerklüfteten Island stammen mag – gibt es eine innere Verbindung zum kollektiven Unbewussten jenseits des Polarkreises?

„Wieso erinnere ich mich?“

frage ich mich mit ihm gleichsam, als ich zufällig aufschlage. 

Zwischen Wochenkarten finde ich, dass Liebe doch durch den Magen geht und manchmal die Bestellung von Zervelatwurst im Schlagschatten verächtlicher CDU-Plakate zärtlich und trotzig von einer Liebe kündet, die stabiler ist, als es selbst in der Provinz die Wahlergebnisse der CDU sein können. Fast wortlos schiebt sich in den Worten über die Mutter tiefe Zärtlichkeit und Bewunderung in Beschreibungen scheinbarerer Alltäglichkeiten –

„warum ich nicht mehr über meine Mutter schreiben wolle“

wird klar – was wäre schon hinzuzufügen? Vor allem in einer anderen Sprache als der, die

„bis weit über das siebte Lebensjahr hinaus auch seine einzige Sprache, seine Muttersprache gewesen ist, bis Lehrer mit Linealen und dünnen Bambusstöckchen über seine Finger und Handrücken Hochdeutsch in seinen Kopf schlugen“

Vielleicht ist daher auch wichtig, dass die Zärtlichkeit zwischen den Zeilen einen sicheren Ort hat, den das Hochdeutsche nicht erreichen kann – eine Liebe, die sinnlich ist und daher ohne große Worte auskommt, sondern sich in den warmen Erinnerungen zeigt, im

„Duft der Kastanien“

oder der sandgefüllten Tonflaschen, die

„uns nachts die Füße wärmten im kaltklammen Bett“

Der mir weise erscheinende Mann, der in den Spiegel blickt muss nicht mehr 

„Wörter wie Stacheln erfinden 

gegen die Wirklichkeit“.

Auch wenn er sagt

„ich bin doch schon müde“

hoffe ich als Leserin, dass der Bitte

„Vielleicht bringen Sie mir doch noch einen Espresso“

nachgegangen wurde.

Ist es lauter von mir, das zu wünschen? Werden doch wir aufgefordert, gegen eine Zerstörung der bereits brennenden Welt anzuschreiben – da ist sie wieder, die Hoffnung des Kommunisten von einst, der sich selbst oft bescheiden-beschämt in den Hintergrund stellt, um dann wiederum die vom Vater gegebene Liebe zur Natur

„die dir mehr als alles andere war“

wiederaufflammen zu lassen. 

„ach / gäbe es doch das Wort / das eine neue Weltordnung schüfe“

erglimmt es.

„welchen Text ich in letzter Zeit auch immer begonnen habe /

er war nicht zu einem Ende zu bringen / 

egal in welcher Sprache / egal in welcher Form“

Bitte, lieber Wolfgang, lass deine Texte nicht enden für uns – egal in welcher Sprache und egal in welcher Form. 

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buchbesprechung – unsere anarchistischen herzen

Lisa Krusche, Unsere anarchistischen Herzen, S.Fischer

Das Buch begegnete mir in meinem ersten nach dem Lockdown endlich wieder möglichen Streifzug durch eine meiner Stammbuchhandlungen. Eigentlich hatte ich einen Lyrikband ausgesucht und war schon auf dem Weg zur Kasse, da platzte mir die Kaugummiblase auf dem Cover ins Gesicht. Und dann dieser Titel. Sowas von in your face, dass ich nicht daran vorbeikam.

Die auf dem Klappentext beschriebenen Zumutungen und schillernden Aufregungen des Erwachsenwerdens kamen mir nach der Corona-Coconzeit selbst wieder seltsam nah vor.

Der erste Satz „Papa rennt nackt durch Charlottenburg.“ setzt das Thema. Parentifizierung also. Naja, alte Kiste, könnte man meinen. Lisa Krusche gelingt es, durch ihre schnelle Erzählweise mit wechselnden Perspektiven einen inneren Film zu erzeugen wie in „Victoria“, dem Film von Sebastian Schipper, 140 Minuten in einem Cut – aber in introvertiert.

Assoziativ gelockerte poetische Innenschau wechselt mit lebendigen Dialogen, analog oder digital – und alles in einem Cut.

Gwen und Charles kommen daher wie zwei Seiten derselben rostigen 1-Cent-Münze, die man aus der Waschmaschine fischt und die sich nach dem Fallen immer schneller dreht, bis sie auf einer Seite zum Liegen kommt. Es dauert lange, bis sie sich begegnen – wie zwei Gestirne, die sich erst sehr langsam aufeinander zubewegen, um sich dann unaufhaltsam und immer schneller anzunähern.

Gwen

Allermeistens bin ich blau. Ein deep space Blau. Aber das hängt ja mit der Welt zusammen, weil man ihr nicht entkommen kann. Weil alles in einen hineinläuft, es gibt keine Filter, keine Schleusen, nur diesen Strom der Dinge, der sich in Farben kristallisiert.

ich bin in mich selbst invertiert, ein vexierbild aber ohne kippmoment ein 3D-film ohne brille

es wird mir immer schwindelig, wenn ich mich selbst zu lange anschaue

Ich hebe mein T-Shirt, taste die Schwellungen an meinen Rippen ab, krümme mich vor Schmerz, und von den Blutergüssen breitet sich das Lila im ganzen Raum aus und legt sich auf mich wie ein Colour-Fog-Filter, und ich gehe in die Hocke und heule eine Minipfütze Tränen auf den Toilettenboden, Mimosensee, indem ich mein verstörtes Gesicht erblicke. Es ist nicht so, dass ich mich für unzerstörbar halte, allerhöchstens halte ich mich für egal.

Charles

Ich denke an Sartre. Dass er völlig unspezifisch war. Die Hölle, das sind nicht einfach die anderen. Die Hölle, das sind die Eltern.

„Ich bin konservativ”, sagt er, „daran ist ja nichts Schlechtes. Konservativ das kommt von Latein conservare. Das bedeutet bewahren. Ich will einfach nur Werte bewahren“. Einstimmiges Nicken in der Runde. Gwen schaut auf ihren Teller. „Die faschistischen Werte deiner Großeltern oder welche?“ Ich beuge mich über meinen Teller und schaue den Schönheitschirurg an. Alle Köpfe drehen sich zu mir.

In Punkrock-Poesie entwickelt Lisa Krusche das Bild einer radikalen Sensitivität, in der die Figuren insbesondere durch ihre Verwundbarkeit und Verwundungen zum Strahlen kommen. So hat die Geschichte etwas Ur-romantisches mit einer leisen Schrille, Instagram-Filter inklusive – ohne jedoch dem Kitsch zu erliegen, wie es diese tiefsinnigen Sprüche mit Bildern tun.

„Trotzdem leben“, sage ich.

„Live laugh love”, sagt Gwen.

“Und Widerstand”, sage ich.

“Live laugh love und Widerstand”, sagt Gwen.

(…)

„Eher so: ein Bengalo in jeder Hand und ein Haifisch über der Schulter“

& alles ist so golden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Book Review, Writing

buchbesprechung – vom ende der einsamkeit

Benedict Wells (2016), Vom Ende der Einsamkeit, Diogenes

Meine erste Buchbesprechung auf Deutsch. Daher erkläre ich an dieser Stelle noch einmal meine Struktur. Ich möchte eine völlig subjektive Perspektive einnehmen und folgende Fragen nacheinander beantworten:

1. An welchem Punkt meines Lebens haben das Buch (ja, Bücher sind Entitäten) und ich uns getroffen?

2. Wie habe ich das Buch erfahren?

3. Womit wird mich das Buch zurücklassen?

Zum ersten Mal begegnete mir das Buch auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für eine Ausbildungskollegin meines Instituts für Psychotherapie. Sie hatte mich eingeladen und obwohl ich es nicht dorthin schaffte, wollte ich ihr dennoch etwas schenken – ich hatte mich über die Einladung sehr gefreut. An einem Sonntag waren mein Freund und ich zum Hauptbahnhof spaziert, zum einen um an die frische Luft zu kommen, zum anderen um bei Rossmann noch ein paar Dinge einzukaufen. Da es im Bahnhof auch eine Buchhandlung gibt, wollte ich dort nach einem Geschenk suchen. Der Titel sprang mir ins Auge und ich las auf dem Rückdeckel den wunderbaren Satz:

„Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind: Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.“

Für meine Kollegin schien mir dieses Buch wenig geeignet und mich plagten die sich in meinem schlechten Gewissen stapelnden ungelesenen Bücher zuhause, weshalb ich es wieder zurücklegte. Ein Geschenk fand ich nicht.

Am nächsten Tag zog ich erneut los zum Buchladen meines Viertels, dem ich ohnehin noch einen Besuch abstatten wollte. Ich fand dort neben einer schönen Präsentation der Bücher eine sehr freundliche und geduldige Händlerin vor. Man muss wissen, dass ich zur Entscheidungsfindung einen zeitlich nicht unerheblichen Prozess zu durchlaufen pflege, besonders wenn es um Bücher geht. Das Geschenk war schnell gefunden und ich hatte für mich bereits ein kleines Büchlein eines lokalen Dichters gefunden. Da ich jedoch einen Gutschein hatte, war das schlechte Gewissen mit den Wolken des Vortags verzogen und ich stöberte weiter. Maxim Biller – Hundert Zeilen Hass. Klang gut, aber ich wollte irgendwie lieber ein wenig Urlaub von der ohnehin schon trüben Realität unserer Tage. Ich traf erneut auf ‚Vom Ende der Einsamkeit’. Aber da ich mich schon am Vortag dagegen entschieden hatte…und ein Spiegel-Bestseller…naja. Ich entschied mich dafür, mich nicht alleine zu entscheiden und bat die sympathische Händlerin um einen Tipp, hinzufügend, dass ich gerne etwas in ‚schöner Sprache, gerne poetisch’ hätte. Sie griff zielsicher ins obere Regal und zog das zuvor erneut verschmähte Buch von Benedict Wells hervor. „Wir alle haben dieses Buch geliebt! Es ist so schön geschrieben, sehr behutsam und bildreich.“ „Und dass es ein Spiegel-Bestseller ist?“ „Ach, man will den Aufkleber glatt entfernen! Nein, es ist wirklich sehr gut.“ Gekauft.

„Ich kenne den Tod schon lange, doch jetzt kennt der Tod auch mich.“

Gleich im ersten Satz wird klar: Flach wird es nicht auf den nächsten Seiten. Und bildreich ist es. Wie in einem Musikstück tauchen Themen, Orte, Menschen, Lieder oder Bilder immer wieder auf und verweisen auf die Vergangenheit oder Zukunft der Figur Jules. Alle Kapitel sind mit Jahreszahlen und einem Titel versehen, was es einem erleichtert, nicht im Kopf des unruhigen Träumers Jules verloren zu gehen. Alle Figuren werden sehr mitfühlend und lebendig beschrieben. Ihre Geschichten mit all ihren Anstrengungen wird derart behutsam nachgezeichnet, beruhigend plätschernd, und doch vergehen die Seiten wie im Flug. Benedict Wells gelingt es, mich zu packen und gleichzeitig nicht gefangen zu halten. Meine Gedanken dürfen träumerisch wegdriften wie die von Jules. Ob es daran liegt, dass ich ihm ähnlich bin, dass ich so leicht in ihn schlüpfen kann wie in einen Pyjama und mich gleich wohl fühle?

„‚Aber ich schreibe doch gar nicht, Alva, wie oft denn noch. Das ist alles Jahre her.’ ‚Vielleicht schreibst du nicht auf Papier, doch in deinem Kopf tust du es’, sagte sie mit ihrer leisen Stimme und berührte mich am Arm. ‚Das hast du schon immer getan. Du bist Erinnerer und Bewahrer und du weißt es.’“

Die Kraft, die Bilder entfalten, wie sie sich ausbreiten wie Ringe auf der von einem Tropfen gepieksten Wasseroberfläche, ist dem Autor sehr bewusst.

„Alva schrie auf. Sie hatte den Fuchs entdeckt. Durch das Eis konnte man seine erstarrte Schnauze sehen, ein Teil seines Körpers ragte jedoch noch aus dem gefrorenen See heraus, das struppige Fell war von glitzernden Kristallen übersät. Als wäre er mitten in der Bewegung eingefroren. ‚Was für ein schrecklicher Tod!’ Alvas Atem dampfte. ‚Wieso zeigst du mir das?’ (…) ‚Jetzt findest du es furchtbar, aber ich wette mit dir, in zwanzig Jahren erinnerst du dich an den eingefrorenen Fuchs.’ Ich musste lachen. ‚Sogar auf dem Totenbett wirst du noch an den eingefrorenen Fuchs denken.’“

Beziehungen verdichten sich in Momenten, die Benedict Wells aufzieht wie einen Übergang markierende Perlen an einem Rosenkranz. Sie stehen für ein Geheimnis, welches immer wieder in anderer Form auftaucht, Orientierung bietet, dass man sich nicht verliert im immer gleich und immer anders wiederholenden Mantra. Leben und Tod treffen sich im Rosenkranz, wie in diesem Buch. Trauer und Trost, Hoffnung und Angst.

Zurück bleibt: Dieses Buch hat mich bewegt, hat mich gerührt, mich mit meinem Tod reden und mich ein Stückchen weiterkommen lassen. In Jules, Liz, Marty, Alva, Toni, Elena und den anderen konnte ich mich sehen und mich in und mit ihnen entdecken, verwickeln, entwickeln.

„Doch selbst wenn ich diese Geschichte niemals beende, werde ich nicht mehr aufhören zu schreiben. Denn ich habe begriffen: Nur dort kann ich alle gleichzeitig sein. Alle, die möglich waren. Denn der kleine Junge, der sich vor allem fürchtet, das bin ich. Genauso das Kind, das mit dem Fahrrad todesmutig den Hügel hinunterfährt, sich den Arm bricht und trotzdem weitermacht. Ich bin der Außenseiter, der sich (…) zurückzieht und nur noch vor sich hin träumt. (…) Ich bin der Teenager, der sich nicht traut seine Liebe zu gestehen, und in die Einsamkeit abrutscht. Der fröhliche, selbstsichere Student, der sein Leben anpackt. (…) Als junger Mensch hatte ich das Gefühl (…) ein anderes, ein falsches Leben zu führen (…) und erst spät habe ich verstanden (…): Dieses andere Leben, in dem ich nun so deutliche Spuren hinterlassen habe, kann gar nicht mehr falsch sein. Denn es ist meins.“

Ich verneige mich vor dem (echt jungen!) Autor und sage: Vielen Dank, Herr Wells. Und Chapeau.

 

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Book Review, Music

book review – instrumental

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James Rhodes (2015), Instrumental, Canongate Books Ltd.

I met this particular book on a stride through the area around my rented practice room in Cologne. I had a break, a patient had not showed due to this mean flu that’s been going around. I hit one of my favorite book stores. As I walked in, I did what I always do – I looked around, almost forgetting why I had come here and guilt-tripping myself about spending more money on books when there were still too many waiting at home for me to read. ‘Der Klang der Wut’ – The sound of anger? The title sounding like some hippie therapeutic self-help manual, the cover looking like someone had been really eager to destroy shit – weird enough for me. I picked it up, and after a few seconds I knew it was exactly what I wanted to read. Now. Since I wanted to get the author’s original words I downloaded it on my kindle (ordering it would have taken a full day – please be understanding).

Instrumental – the title alone already deserves some form of an award. I could write about how James Rhodes managed to put unspeakable things into words that have healing potential to so many suffering from the ‘aftermath of violence’ as Judith Herman called whatever pile of symptoms survivors face. What truly wowed me is the ruthless honesty James Rhodes confronts us with. By us I mean the bystanders, the readers, the teachers, the psychologists and doctors, the friends, the family members, the partners. I have never read a book that used exactly the words I hear on a daily basis, that was able to capture the guilt, the shame, the horror (“clearly someone could only do those things to me if I were already inherently bad at a cellular level”) and the unbreakable will to ‘deal with this pile of shit’ as one of my patients put it. This book is loud. It is because it has to be. But just like the cited ‘Goldberg Variations’ this book alternates in volume and intensity and knows when it is best to refrain from using words but let silence speak for itself, creating images in our heads that might actually make us understand. And above all – music.

“It provides company when there is none, understanding where there is confusion, comfort where there is distress, and sheer, unpolluted energy where there is a hollow shell of brokenness and fatigue.”

Music is what structures the whole book. The chapters are all connected to a piece of classical music, the author giving an idea of why this particular piece was chosen and its context within the composer’s life. The book repeatedly invites us into this parallel universe that classical music seems like. And yet James Rhodes’ approach is that of a grassroots level folk musician. Neither stuck up nor brownnosed. It’s like a manifesto for the inherent value of creative work, “to find what you love and let it kill you” (as he quotes Bukowski). At the same time he harshly criticizes the industry behind (classical) music offering something the “few geriatric, inbred morons” neither show nor appreciate: truthful inspiration. An urge to be creative that needs expressing. He offers:

“My solution? Fuck the lot of them. Play what you want, where you want, how you want and to whom you want. Do it naked, do it wearing jeans, doing it while cross-dressing.”

Clear, authentic language and determination meets modest self-irony:

“OK, I know it sounds a little like some utopian vision of mine that occurred while taking a really long dump, but trust me, I will make this happen.”

He even gives helpful relationship advice (a circumstance he himself describes as “hysterical”):

“Stop being a dick. The biggest killer in any relationship is point-scoring. The great Persian poet, Rumi, wrote, ‘somewhere out there, beyond ideas of right and wrong, there is a garden. I’ll meet you there.’ ”

This is definitely the perspective of this book: subjective, neither claiming to be right, nor neutral, nor better.

I have already recommended this book to a number of friends, patients and colleagues, even before I finished it. I hope it will find many readers in Germany as its translation has been published recently. Things sometimes seem to have an ironic connection. I found the book when one of my patients (a survivor of sexual trauma) was down with the flu. I finished it today, sick in bed, drinking tea, listening to Ludovico Einaudi.

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Book Review

book review – how to read a poem

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Edward Hirsch (2000), How To Read A Poem: And Fall In Love With Poetry, Harvest Book.

“There are people who defend themselves against being “carried away” by poetry, thus depriving themselves of an essential aspect of the experience. But there are others who welcome the transport poetry provides. They welcome it repeatedly. They desire it so much they start to crave it daily, nightly, nearly abject in their desire, seeking it out the way hungry people seek food. It is spiritual sustenance to them. Bread and wine. A way of transformative thinking. A method of transfiguration. There are those who honor the reality of roots and wings in words, but also want the wings to take root, to grow into the earth, and the roots to take flight, to ascend. They need such falling and rising, such metaphoric thinking. They are so taken by the ecstatic experience – the overwhelming intensity – of reading poems they have to respond in kind. And these people become poets.” (p. 7)

So, this is my first book review. I decided to write book reviews taking a completely subjective perspective, following a certain pattern by answering these questions:

  1. At what point of my life have the book (as I consider books entities) and I met?
  2. What was my experience when reading the book?
  3. What will the book leave me with?

In this case it is a bit harder to follow that pattern as I haven’t finished reading the book yet.

The cited paragraph has expressed my personal reasons for reading and writing poetry so accurately that I had to share it.

Me and this book have actually met in ‘City Lights Bookstore’ on Sept 9th in San Francisco. I stumbled across its title going through their amazing poetry section. At the time I was looking for poetry books and not books about poetry. So I put it away again. The second time I made it to that bookstore a couple of days later, the book attracted my attention again – being ruthlessly ignored yet another time. When it crossed my path for the third time today in a bookstore in Santa Cruz, I decided to attribute its constant appearance in my life to fate and bought it.

In the preface, it begins informing the reader that this is a book about reading poetry – redundantly enough as it states so in the title. In the third sentence Hirsch writes: “I have gathered together many poems I have loved over the years, and I have tried to let them show me how they should be read.” This really caught my attention, leaving me curious for more. During the next couple of pages not only does the author express his own love for poetry, but lets the poets themselves express theirs, inducing it in the reader. It feels as if the author took the reader by the hand, saying: ‘Let me introduce you to my friends’, thus making it a completely subjective experience. Poetry is subjective. Not only does is reveal the core of the poet’s experience and inner world but also that of the reader. Hirsch makes that clear when he writes: “You are reading poetry – I mean really reading it – when you feel encountered and changed by a poem, when you feel its seismic vibrations, the sounding of your depth.”

I already fell for the book. It captured me as poetry has captured me. It transports its author’s love for the “roots and wings” of the “message in a bottle” poetry holds. It hasn’t left me yet, and already I anticipate the sadness after reading its last page – as if I had found a dear friend of whom I will have to part when putting the book aside.

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