Allgemein, Book Review, Poetry, Writing

buchbesprechung – die goldwaage

Nasima Sophia Razizadeh, Die Goldwaage, Wallstein

Wie ich an dieses Buch kam? Beim längst überfälligen Aufräumen meiner Schubladen entdeckte ich einen Thalia-Gutschein, den ich bereits 2021 bekommen hatte, als Abschiedsgeschenk meiner Stationsärztin, als ich aus Aachen wegging und nach Köln zog. „Ob er noch gültig ist“, dachte ich und meine sozialphobischen Anteile entschieden sich für die Probe im anonymen Online-Handel. Ein Gedichtband sollte es sein. Und bei der Durchsicht der Vorschläge fiel mir das Kintsugi-Cover auf, was gut zu meiner Stimmung passte. Vorbestellt. Gewartet. Ausgepackt – „Freisetzung“:

„Der Schlag des Metronoms in meinem Mund, 

dem meine Zunge ausweichen muss, 

ist das einzige Taktgefühl, das ich besitze,

mein Metronom, es tickt

einzig in der Schrift,

die Zunge muss sich ducken.“

Zwischen Wortgewandtheit und Sprachlosigkeit. Wirklich befreiend, wenn man sich spiegeln darf, sich selbst dadurch näher kommt, sich zugleich verbunden fühlt. Um dann wiederum durch ‚Attrappen’ daran erinnert zu werden, dass es das Ende der Liebe ist, wenn man sich ein Bild macht von jemand anderem:

„Drei Türen entfernt

sprichst du in eine andere Zeit

und verfehlst die Dunkelheit, nach der du

dein Bild von mir wirfst.

(…)

mein Bild von dir: ein flirrendes Versprechen,

dein Bild von mit: mein blindester Fleck – 

dunkle Bilder in dunklen Rahmen.“

Es sind oft sehr prägnante erste Zeilen, die ich dann im folgenden zu entblättern suche, die sich vor mir entfalten oder sich empor heben in Seifenblasen.

In der „Kompassrose“ im ‚Flussbett’ etwa heißt es:

„Die Nadel fragt

nicht nach dem Wohin.“

Die Nadel weist auf einen Traum, einen immerzu verfehlenden

„Faden

im Überschreiten der Grenze

(…)

das kleine Öhr

einer ungeduldigen Kompassnadel,

die bestimmt ins 

Blaue weist.“

Ach, die Romantik, immer wieder eine Reise wert. 

Da wird der ‚manic Monday‘ zum „Mondtag“, an dem die Dichterin ihr 

„Lungen- neben dein Rippenfell (…) zum Trocknen in die verdunkelte Sonne“ hängt und konstatiert:

„wir sitzen gemeinsam

Innen entkleidet,

in Tontöpfen ausharrend“

Es gibt einen Mut zur Verletzlichkeit, der die Behutsamkeit in den Zeilen zur Berührung werden lässt, zu ‚innigen Irritationen‘, wie das Kapitel ‚Delirium‘ untertitelt ist.

Ermutigt fühle ich mich durch die Dichterin im ‚Malstrom‘, wenn sie versichert: 

„aber deine Stirn sagt mir,

dass du mir folgen kannst

in diesem Sinnesstrom

in diesem Irrsinnsstrom

in meinen Malstrom

hinab,

hinab und

wieder hinauf“.

Der Band lebt von Gegensätzen, Sinnesqualitäten, Elementen, Rhythmen hypnotischer, aber klarer Sprache, den „Innenflächen“, ‚erdigen Flügeln‘.

„Ist das doch,

doch doch,

eine Grundfarbe,

ein Grundton,

ist das doch

ein Grund, ganz nah an den fernab Träumenden

heranzurücken“.

Dann ein in der ‚Neige’ eine ‚innige Akklimatisierung’

an die

„Suche und Sehnsucht

nach unserer Sprache,

nach dem verlorenen Gehör,

nach der kaum kenntlichen Schrift”.

Aber auch ‚externe Irritationen‘ werden in Zeilen gegossen 

„der Erstickungsgefahr zum Trotz“ – kehlige Laute oraler Fixierungen

„Biss um Biss,

kauend sich in sich

das trockene Brot 

des Lobs zu

versüßen.“

Dann ‚Wendepunkte und Begegnungen‘ „Schlag und Strich“ innerer Anteile, noch in „Zeichensprache“ partiell aussprechlich, denn

„Nachts wird 

das Fragezeichen zum

Synonym des Punktes“

und 

„In jeder Kammer

dieses Herzens

steht ein eigener Tisch.“

Dann sich annähernd an Gesprochenes:

„Kehllaute lege ich dir in die offene Hand. Ein

Anspruch, auf den du antworten sollst.“

Was zu eng wird, muss schließlich abgelegt werden. 

„Eine Schlangenhaut streicht durch die Wälder,

schreibt sich spukhaft ein ins Dickicht,

streift der Entledigung entgangene Lasten und Laster langsam ab“.

In der ‚Zeitumstellung‘ der ‚Textnacht’ ein lichtes Schattenspiel, dialogisch:

„Schatten, die ich

in mich verlängere

und: durch mich in dich.“

Dann als ‚Wort und Antwort‘ der ‚Goldwaage‘.

„Und die Stimme,

sie knospt,

knospt zaghaft,

knospt mutig.

Ein Wort wird wachsen, 

wird den Zügel zerschneiden,

wird den Reiter stürzen,

wird die Wunde heilen“.

So schwebe, fliege, falle und wachse ich mit der Autorin.

Liebe Nasima Sophia Razizadeh,

„fühle all das, was 

den Facetten entgeht

(…) 

und verbleibe so, mohnnah,

still und störrisch.“

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Book Review, Poetry, Writing

buchbesprechung – aus glut geschnitzt

Dinçer Güçyeter, Aus Glut geschnitzt, Elif Verlag

Dass ich das Glück habe, an dieses Buch zu kommen, hat einen sehr schrecklichen und einen sehr wundervollen Grund. Der schreckliche ist der grauenvolle Krieg, mit dem Putin die Ukraine auf das Entsetzlichste martert. Der wundervolle ist die zutiefst mitfühlende und zupackende Antwort, die Dinçer Güçyeter darauf gab: Spenden durch den Kauf von Schönheit.

Tröstender kann eine Reaktion kaum sein – man kauft Gedichtbände eines unabhängigen Verlags und der Verleger spendet die kompletten Einnahmen an Hilfsprojekte der Ukraine. So kam ich an den Gedichtband Dinçer Güçyeters, „Aus Glut geschnitzt“. Von der glühenden Beschaffenheit seines Herzens konnte ich durch die gelebte Poesie der Nächstenliebe bereits vor der Lektüre eine Idee bekommen.

Und ich komme gleich ins Nachdenken: Glühendes zu schnitzen, dazu bedarf es des Mutes, sich die Hände zu verbrennen, die Distanz des hämmernden Schmieds ist dem Schnitzenden nicht gegeben. Das Material muss erfasst und beherzt wirkend neu geformt werden, Span für Span. 

Schon im ersten Gedicht „ach, Kinder …“ zeigt der Dichter vollen Körpereinsatz im Dienste der Liebe. Ich verstehe gleich, dass diese Lyrik geerdet ist und ganz ohne die ach so beliebte ironische Distanz zu anderen auskommt. Er lädt uns gleich ein in einen zärtlichen Moment kunstverrückter Vaterliebe mit einer gehörigen Portion einer der besten Eigenschaften, die wir gerade in diesen Zeiten so vielen Machthabenden wünschten: sich selbst nicht allzu groß zu machen. 

Das „stachelige Gebet“ in „die Zweige und das Vöglein“ lassen dieselbe Prise Straßenkatze erahnen, die im Lyrikband „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“ (dessen Besprechung noch auf meiner To-Do-Liste steht) schon dem fantasievollen Titel entspross. Vielleicht sind es diese beiden Worte, die den Stil seiner Lyrik besonders treffend beschreiben. Demütig, aber nicht devot, anschmiegsam, aber auch widerspenstig, verspielt, aber auch ernst, einfühlend, aber auch in sich gekehrt.

So müht es sich, das Vöglein in den ersten Gedichten, gegen die Bedrohung anzufliegen, weil „die Götter bepissen das Gebet“. „Ein Kind (…) singt vor Angst die Strophe eines Rauschens“. Trost finden im Worte-finden, „das Warten schleift die Seele spitz“ bis die Welt beginnt zu antworten – „der Sturm singt die gleiche Strophe wie das Kind“.

Wie im Thriller möchte man schreien: „lauft Kinder, lauft weg …“ während der Dichter „das fehlende Teil eines Elefanten“, der sich allzu gut zu erinnern scheint, sezierend „im Schmatzen der Neonlichter“ in Augenschein nimmt, die Flügel „unter fernen Füßen“ ermatten lässt und zur Ameise wird, um dann, nach dem Vorspann der Geschichte, geboren zu werden im „Gefecht der Wellen“

Die Gedichte, sie wirken wie Traumsequenzen, fast hypnotisch suggerieren drei Punkte den Übergang der noch deutlich flügelreichen Fantasie des Dichters zur Unsrigen. Und so werden wir vom Zuschauer über den Bystander zum Aufgeforderten:

„Traust du dich jetzt

Einen Blick zu werfen

Auf die Anmut der Seerosen …“

Ich denke an Heine, während mir Dinçer erklärt, warum: „seltsam, hier riecht es immer noch nach Sehnsucht“.

Doch gleichsam sind seine Bilder erdreicher, denn „mit brennenden Zehen bürstet er sein Verlorensein“. Eine ganze Biografie (der Mutter) passt in einen Koffer, der im Stakkato die Taktung eines mühevollen Lebens herunterbetet wie alte Frauen in der Eifel den Rosenkranz. Ich komme nicht umhin, mich zu freuen, dass all dies nicht gelöscht werden konnte, dass auf dem Grund das Fließen bleibt, mantrenartig aufgefordert wird: „nimm deine Glut und fließe … fließe ins verblendete Kühle …“

Ich denke an Bastian aus der unendlichen Geschichte, der dem Nichts neue Namen entgegensetzte. 

Um dann – wütend – in der Realität zu landen, denn „die Nächstenliebe trägt Nuttenschminke im Gesicht“. Opfer sehen zu, wie neue Täter „zu Wölfen wachsen“ und „der Rabe stiehlt der Nachtigall die Stimme …“.

Geschätzter Dinçer,

„mehr darf ich dir …

mehr will ich dir nicht sagen!“

nach deinem „Konzert für Kinder und Nächte“,

wenn du fragst:

„ach, wo sind die starken Männer geblieben …“

Genau hier, will ich sagen, denn 

„der Feuervogel der glitzernden Nächte

hat diesen Graben erhellt“.

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Allgemein

buchbesprechung – herzschlagdrama

Safiye Can, HerzSchlagDrama, Büchergilde Gutenberg

Eine etwas andere Rezension als sonst. Ich hatte das große Glück der frühen Bestellung und konnte sogar ein signiertes Exemplar über die Büchergilde bekommen. Es handelt sich um eine exklusive Zusammenstellung. Das Interview im Büchergilde Magazin von Juliane Noßack bildete die Basis der schnipselpoetischen Betrachtung.

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Allgemein, Poetry, Writing

jesus in a nutshell

he was far out on an old tin
with desolating winds
and no name
to be heard

you can see how our names
had drowned him
who, past doubting spray,
groomed resurrected hope
like bearded sage

juno strode with each returning tide,
but now she has gone forth,
an ancient bell

the other night he saw
a thing so close against his world,
mildly in its place, surely,
with its thousand inlets

more than his name
or prideful poverty

hands

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Allgemein, Feminism, Poetry, Writing

defy me!

the first star
could write my head in deep darkness that fills my cocoon

all my dreams
will be back around for work based purposes
– a single night –
forgotten
has shaped these days
with its back against the wall

as it walked by my side

but i did run away again
delight
a little too tight

created this world
from a lost otherworld

boundless joy has come once again,
with its arms above!

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Poetry

unter matratzen

Wie ich dich finde

Hast du gefragt

Du

Sandkorn unter den Heuhäufigen

Ich

Prinzessin auf der Erbse

Oder so

Miss Marple im Knupsauto

Weil 

Ich stoße mich immer beim genaueren

Untersuchen

Und dann weiß ich wieder nicht warum 

Ich so blau bin

Überall

Besonders in den Augen

Verträumte Erbsenzählerin

Die Guten ins…

Ich kann doch nicht einmal mich

Sortieren

Und schlafe immer gleich ein

Wenn das Licht ausgeht

Im Dunkeln

Finde ich mich 

Dann doch ganz gut

Zu

Recht

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Poetry

zehentrenner

Ich würde so gerne deine Schritte zählen

nur

um zu wissen

wie du die Füße so handhabst

Ich verstehe gerade mal 

meine krummen Schritte 

manchmal

Ich schaue hinunter

wie ein stolpriger Tänzer

Das klappt ja 

schon da nicht

Anschauen 

statt deine Richtung kennen zu wollen

Vielleicht 

hab ich auch Angst 

vor deinem Blick

Was 

mich dort sieht

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