Poetry

postcard to dublin

Hier erzählt man noch Geschichten

Die dieser Stadt ins Gesicht 

Geschrieben stehen

Diese alte Dame, sie spinnt

Sich selbst ihr Schicksal zusammen

Aus der Restwolle 

Macht sie das Beste

Ein Lied summend

Ein ganzes Leben zimmern sie

Aus alten Backsteinen

Die ihren Wert behalten

Tränen

Vom Lachen, Weinen oder Gähnen

Schön hier.

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Poetry

an die freunde

Es wundert

Im Staub alter Bücher

Bricht das Licht neuer Tage

Den im Damals Denkenden das Genick

Wen wundert 

Die Vergesslichkeit der Überfütterten

Ohrenverquillten Halserfüllten

Der Wille bricht schnell

Wenn angesparte Groschen

Wie Ratten

Das sinkende Schiff verlassen

An unseren schluckenden Kehlen

Ertrinken Scharen Hoffnungsvoller

Vor den Küsten einer Festung

In der die Freiheit 

Eine Briefkastenfirma ist

In deren Zentren der Wahnsinn explodiert

Um sich schießt und sticht

Und in die Menge fährt

Wäre Europa nur unsterblich

Nicht verführte Sklavin

Des goldenen Stiers 

Wahrlich

Es lohnte sich

Das Wundern

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Poetry

gemina

Ein ungleiches Zwillingspaar

Der eine

Wohlgenährt

Die Wurzeln reichten sicher

Bis in den großmütterlichen Vorratskeller

Der unerschöpflich war

Wie die überversorgende

Emsige Frau

Oder grub er

Dem Nebenstehenden das Wasser ab

Dessen Äste auf den Autodächern

Meiner Eltern

Schnell weggeweht vom Fahrtwind

Leise Zeugen waren

Für den Mangel

Manchmal laut

Wenn sich das Wetter drehte

Und es heulte

Die Holzgasse hinauf

 

Auch ich ahnte nichts von

Seinem stillen Hunger

Steckte Figuren aus seinen Früchten

Oder denen des Bruders

Wälzte mich im ordentlich gehäuften

Rascheln ihres Laubes

Oder

Sammelte die rußigen Reste des letztjährigen

Feuerwerks

Über eine achtlos herabgezogene

Kordel meines Anoraks stolpernd

Schwarze Flecken unter und auf der Brille

Die

Eine bunte Schnur vor Verlust schützte

 

Eher richtungslos

Wuchsen wir

Zwischen den beiden

Stillen Beobachtern

Laut war es oft

Zu ihren Füßen

Auch sie ahnten nichts

Und irgendwann zogen wir

Nach draußen

Die beiden

Ungleichen

Die Kastanien im Hof

Verschwanden

Aus Sicherheit

Hatte man sie

Gefällt

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Poetry

defäkokratie – crapocracy

erschienen auf
http://www.the-transnational.com

 

 

Es fließt über

All überall

Aus den Kanälen

Kriecht Totgewähntes

Die Bürger steigen eilig über

Das, was liegenließ

Wer zurückgelassen

Die Gassen bevölkerte

Die nun lavierend gentrifizieren

Entfolgt vervolkt

Kein Anschluss unter dieser Nummer

So laut kann Stummheit sein

Dass aus den Ohren quillt

Was jeden Gedanken

In die Flucht schlägt

Wer schreit für uns

In echt

Damit nicht weiter durch die Straßen läuft

Was wir

Vollgestopft

Nach der Tagesschau auskotzten

 

 

It’s all overflowing

All over the place

The presumed dead is showing

Up from surface to interface

The passers-by walk over

What was left behind

By those left behind

Their numbers decline here

Operation Gentrification

Depopulation unfollowed

The number you have dialed is no longer in use

A barrage of noise erupts from the mute

Oozing out of our ears

Rout out

All our common sense

Who cries for us

For real

So whatever we spewed

Stuffed

After Prime Time News

Stops flushing our streets

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Poetry

unter matratzen

Wie ich dich finde

Hast du gefragt

Du

Sandkorn unter den Heuhäufigen

Ich

Prinzessin auf der Erbse

Oder so

Miss Marple im Knupsauto

Weil 

Ich stoße mich immer beim genaueren

Untersuchen

Und dann weiß ich wieder nicht warum 

Ich so blau bin

Überall

Besonders in den Augen

Verträumte Erbsenzählerin

Die Guten ins…

Ich kann doch nicht einmal mich

Sortieren

Und schlafe immer gleich ein

Wenn das Licht ausgeht

Im Dunkeln

Finde ich mich 

Dann doch ganz gut

Zu

Recht

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Poetry

zehentrenner

Ich würde so gerne deine Schritte zählen

nur

um zu wissen

wie du die Füße so handhabst

Ich verstehe gerade mal 

meine krummen Schritte 

manchmal

Ich schaue hinunter

wie ein stolpriger Tänzer

Das klappt ja 

schon da nicht

Anschauen 

statt deine Richtung kennen zu wollen

Vielleicht 

hab ich auch Angst 

vor deinem Blick

Was 

mich dort sieht

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Poetry

dichterliebe

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Siegfried Buck (Hrsg.), Bausteine Deutsch, Diesterweg 1985

Wie verliebt man sich in einen Dichter? Ich habe mein Herz an Heinrich Heine verloren, als ich gerade erst wusste, dass ich eins habe, dass jeder eins hat und dass es aufhören kann zu schlagen. In der vierten Klasse, Dienstag, dritte Stunde Kunst. Ich hatte meinen Farbkasten vergessen. Um mich zu beschäftigen (und wohl auch zu Disziplin zu mahnen), musste ich abschreiben. Während die Anderen mehr oder minder Kunstvolles schafften, sollte ich Heine vom Papier meines Deutschbuches auf meines bringen. Und dies ohne den Tintenkiller zu benutzen. Meine Lehrerin hatte wohl doch den Plan, es solle kunstvoll sein. Oder vielleicht dachte sie auch, es hielte mich auf diese Weise länger auf, würde mich doch jeder Schreibfehler wieder zurück auf Los setzen. Nun gut. Heine also. Altes Kaminstück. Es war Sommer.

Ab der ersten Zeile schon folgte ich ihm, ließ weiße Flocken aufziehen, Stürme mit Harlekinen tanzen und mich von Marmorgöttern grüßen. Wie das Kätzchen wärmte ich mich an ‘des Dichters Feur’. Wer auch immer dachte, mich damit bestraft zu haben, täuschte sich gewaltig. Für diese eine Kunststunde wohnte ich im Zauberschloss. Erst mit dem Klingeln spürte ich den Schmerz des heulenden Kätzchens. Die süße Zerstörung meines Paradieses, vergessene Farbkästen können schmecken wie Äpfel.

PS: Wer erraten hat, dass der Name des Blogs aus diesen Zeilen stammt, ist ein Genie und gehört gewürdigt. Ehre wem Ehre gebührt.

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regenbogen

Die Sehnsucht nach Improvisation

Sie hält nichts

Zerfasert unter unserer Haut

Es riecht nach Regen heute

Eine Schüssel voller

Stillebender Erinnerung

Verspätete Sätze

Am Ende des Verses

Splitter an unseren weißen Lattenzäunen

Wir lesen den Staub von unseren Fenstern

Statt mit ihm

In der Sonne zu tanzen

Hab den Mut

Dir das Herz zu brechen

Im Licht

erschienen in Stefan Hölscher, Kathrin Külow, Holger Dauer, Alfred Büngen (Hrsg.)  ‘Die süße Jagd nach Bitternissen’ Aphorismen- und Gedichtwettbewerb 2016/17, Geest-Verlag 2017

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